Zurück
Diversität
„Das alles genieße ich Tag für Tag“
Ali Ahmad aus Fürstenfeldbruck bei München stammt aus einem kurdischen Dorf an der Grenze Syriens zur Türkei. 2019 schloss er die Ausbildung zum Fachinformatiker bei der Versicherungskammer ab. Im Interview erzählt der 37-Jährige von seinem ungewöhnlichen Werdegang.

Die SparkassenZeitung hatte bereits vor vier Jahren über Ali Ahmad berichtet, der 2016 eine Ausbildung bei der Versicherungskammer begonnen hatte. Damals sagte er über seine Ziele: „Ich will die Ausbildung schaffen und dann eine Stelle bekommen. Und dann wünsche ich mir nur, normal leben zu können, zu arbeiten, Freizeit zu haben, spazieren gehen zu können.“ Vier Jahre später hat Ricardo Tarli nachgefragt.

 

Herr Ahmad, nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien sind Sie nach Deutschland geflüchtet. Heute arbeiten Sie als Informatiker im Konzern der Versicherungskammer. Hätten Sie sich das vor zehn Jahren vorstellen können?

Nein, absolut nicht. Als ich im September 2012 in München ankam, stand ich vor dem Nichts und musste bei Null anfangen.

Sie sind als Storage Administrator in der IT beschäftigt. Welche Tätigkeiten gehören zu Ihrem Aufgabengebiet?

In einem Satz gesagt kümmere ich mich um die unternehmensinterne Speicherverwaltung. Seit einem Jahr arbeite ich in der Abteilung Storage und Host. Zusammen mit meinen Kollegen sorge ich dafür, dass für alle Mitarbeitenden jederzeit genügend Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. Zu meinen Aufgaben gehören auch das Erstellen von Back-ups oder die Wiederherstellung von Daten.

Wie gefällt Ihnen der Job?

Es macht mich stolz, hier arbeiten zu dürfen. Die Arbeit gefällt mir wirklich gut. Meine Kolleginnen und Kollegen sind freundlich, tolerant und intelligent. Es ist mein Traumjob.

Und wie gefiel Ihnen die Ausbildung? Das war nach so kurzer Zeit in Deutschland bestimmt nicht einfach für Sie.

Das Lernen hat Spaß gemacht. Weil ich zu Beginn noch nicht gut Deutsch sprechen und verstehen konnte, hatte ich jedoch Mühe, dem Unterricht zu folgen. Ich hatte die Antworten auf die Fragen in mir, konnte sie aber nicht richtig formulieren. Und ich hatte Sorge, ob ich die Ausbildung wirklich packen würde. Zum Glück hatte ich nette Kollegen, die mir halfen, wenn ich etwas nicht verstanden habe.

Mittlerweile sprechen Sie sehr gut Deutsch. Wie haben Sie die Sprache gelernt?

Ich habe mich angestrengt, damit ich sie rasch erlerne. Ich habe viel mit meinen deutschen Freunden gesprochen, deutsche Filme geschaut oder zu Hause mit dem Wörterbuch gelernt. Ich wollte möglichst viele deutsche Redewendungen verstehen können. Sprachkurse habe ich natürlich auch belegt.

Wer hat Sie während der Ausbildung am meisten gefördert?

Meine Azubi-Kollegen aus der Berufsschule haben mir viel beigebracht. Sie haben mir zum Beispiel Aufgabenstellungen in einfachen Worten erklärt. Außerdem haben wir frühere Prüfungsaufgaben zusammen durchgearbeitet. Mit ihrer Hilfe habe ich bestimmte Fachausdrücke schneller begriffen. Das ging viel besser, als dauernd googeln zu müssen. Obwohl sie jünger sind als ich, war der Altersunterschied nie ein Problem. Wir haben noch heute guten Kontakt zueinander.

Weshalb entschieden Sie sich für die Ausbildung als Fachinformatiker bei der Versicherungskammer?

Auf die Versicherungskammer war ich durch einen glücklichen Zufall aufmerksam geworden. In einem Münchner Restaurant, wo ich arbeitete, kam ich mit einer Kundin ins Gespräch. Sie war Mitarbeiterin der Versicherungskammer. Irgendwann fragte sie mich, ob ich vielleicht Interesse an einer Ausbildung zum Informatiker hätte.

Weil ich an technischen Dingen interessiert bin, war ich sofort begeistert. In Syrien hatte ich bereits eine zweijährige Ausbildung zum Elektrotechniker gemacht. Beim Erstellen der Bewerbungsunterlagen half mir diese Kollegin. Ohne ihre Hilfe hätte ich den Ausbildungsplatz nicht bekommen.

Weshalb ist die Versicherungskammer ein attraktiver Arbeitgeber für Menschen mit Migrationshintergrund?

Bei der Versicherungskammer kann sich jeder bewerben, der motiviert und engagiert ist und die Voraussetzungen erfüllt, egal, woher er kommt.

Glauben Sie, bessere Leistungen erbringen zu müssen als Ihre deutschen Arbeitskollegen?

Nein, überhaupt nicht. Jeder wird gleich behandelt. Mir gefällt die Arbeitseinstellung der Deutschen sehr. Sie und meine ausländischen Kolleginnen und Kollegen arbeiten ordentlich und gründlich.

Als jemand, der aus einem Land kommt, wo Krieg herrscht, haben Sie einen anderen Blick auf Deutschland. Was können Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen sagen?

Ich denke, ich bringe sie dazu, ihr Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. In meinem Heimatland Syrien gibt es noch immer regelmäßig Tote und Verletzte, viele Menschen leiden an Armut und Hunger. Der Krieg hat das Land kaputt gemacht.

Viele Freiheiten, wie wir sie hier kennen, gibt es dort nicht. Bei uns haben die Männer das Sagen. Ohne ihre Männer oder Väter sind die Frauen rechtlos. Mit dem Wissen um die Zustände in Syrien sind meine Kolleginnen und Kollegen dankbarer, in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen.

Was haben Sie von Deutschland gelernt?

Wie ein Land funktionieren sollte. Mit schönen Häusern, sauberen Straßen, mit Spielplätzen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Und wie wichtig Pünktlichkeit ist. Ich genieße das alles Tag für Tag. Was für ein Glück! Auch sehr gut finde ich, dass in Deutschland alle Kinder zur Schule gehen. In Syrien haben die meisten Kinder keinen Schulabschluss.

Sie leben seit neun Jahren in Bayern und besitzen seit einem Jahr den deutschen Pass. Ist Deutschland Ihre zweite Heimat geworden?

Ja, hier fühle ich mich sehr wohl. Hier habe ich mir ein neues Leben aufgebaut. Anderswo möchte ich nicht mehr leben.

Was sind Ihre Zukunftspläne?

Beruflich will ich mich rasch weiterentwickeln, mehr in die Tiefe gehen, neue Bereiche kennenlernen. Im Moment bin ich dabei, das Betriebssystem Linux zu lernen. Außerdem will ich mein Deutsch perfektionieren und gleichzeitig mein Englisch verbessern.

Privat möchte ich Europa bereisen und Deutschland besser kennenlernen. So weit ich Bayern bereist habe, kann ich sagen, es gefällt mir sehr gut hier. So bin ich beispielsweise im November in Garmisch-Partenkirchen wandern gegangen. Die Berge, die Wälder – das ist alles so schön!

Wann haben Sie Ihre Familie das letzte Mal gesehen?

Das war vor neun Jahren, also noch vor meiner Flucht. Ich hoffe, dass ich meine Familie im nächsten Jahr besuchen kann. Am meisten vermisse ich meine Mutter. Wenigstens kann ich mit ihr über Whatsapp sprechen. Natürlich ist sie traurig darüber, dass wir uns so lange nicht gesehen haben. Aber sie weiß auch, dass es mir hier in Deutschland gut geht. Das macht sie glücklich und, so hoffe ich, auch ein bisschen stolz.

Ricardo Tarli (Bild oben: Shutterstock/privat)
– 15. März 2022