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Anlageberatung
German Angst ist kein guter Ratgeber
Viele Menschen legen ihr Geld aufs Sparkonto, um Risiken vermeiden. Wer ihnen bewährtere Anlagetechniken empfehlen will, sollte zuerst eine andere Risikoeinschätzung vermitteln, rät LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert.

Noch immer legen viele Deutsche ihr Geld auf dem Sparkonto an, weil sie dies für besonders sicher halten. Um den Kunden bewährtere Anlagetechniken verkaufen zu können, muss ihnen zuerst eine andere Risikoeinschätzung vermittelt werden, schlägt LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert vor. Denn nach der Hypoerinflation der Zwanziger Jahre und zwei Weltkriegen sei für die große Mehrheit der Deutschen jegliche Form von Risiko völlig indiskutabel.

Die Deutschen haben im Vergleich mit den europäischen Nachbarn recht wenig Vermögen. Grund ist vor allem der geringe Immobilienbesitz. Jeder Bundesbürger verfügt abzüglich der Schulden über ein Vermögen von 95.700 Euro – im Durchschnitt jedenfalls. Zu einem etwas anderen Ergebnis kommt man, wenn man alle Bürger nach dem Wert ihres Besitzes aufreiht und den sogenannten Median feststellt – das ist Wert, der die Bürger in zwei Hälften teilt: Die eine hat mehr, die andere weniger Vermögen. In Deutschland verfügt dieser mittlere Bürger über 25.200 Euro – das ist nur gut ein Viertel dessen, was bei der Durchschnittsrechnung herauskommt. Verglichen mit den anderen Euro-Staaten ist der Unterschied zwischen Median und Durchschnitt in Deutschland auffällig groß – ein Hinweis darauf, dass die Vermögen hierzulande ziemlich ungleich verteilt sind.

Die referenzierte Medienquelle fehlt und muss neu eingebettet werden.
Sicherheit punktet bei den Deutschen, und Gemütlichkeit. Doch deutsche Symbole wie die Kuckucksuhr stehen auch für Innovationen. Zumindest ein Weckruf könnte den Anlegern ab und an gut tun.

Nur in Österreich sind die Vermögen ähnlich stark konzentriert. Frankreich, Italien und Spanien haben eine ausgeglichenere Verteilung – das zeigt sich auch daran, dass etwa das Vermögen des mittleren Franzosen gut doppelt so hoch ist wie das des mittleren Deutschen. Gemessen am Medianvermögen pro Kopf haben alle Euroländer außer der Slowakei mehr auf der hohen Kante als Deutschland. Auch gemessen am Durchschnittsvermögen kommt Deutschland nur auf Platz 9 unter den Euro-Ländern.

Der Hauptgrund für das schlechte Abschneiden ist - auch hier - der geringe Immobilienbesitz. Mehr als die Hälfte des Vermögens in der Eurozone besteht aus Immobilien – und gerade hier haben die Deutschen wenig zu bieten. Während in Ländern wie Spanien mehr als 80 Prozent der Haus-halte ein Haus oder eine Wohnung besitzen, sind es in Deutschland weniger als 50 Prozent. Und die Mieter haben in Deutschland offensichtlich nicht so viel Bargeld, Sparguthaben, Aktien und sonstigen Besitz, um den Wert einer Immobilie auszugleichen. In Ländern wie Spanien bleibt den Menschen allerdings oft auch nichts anderes übrig, als eine Immobilie zu kaufen – denn es gibt schlichtweg keinen funktionierenden Mietmarkt.

Doch das in Deutschland verbreitete Mieten ist nicht der einzige Grund für das vergleichsweise kleine Vermögen. In Deutschland wurden über die Generationen hinweg auch weniger Vermögen weitergegeben. Die Hyperinflation Anfang des 20. Jahrhunderts, die Zerstörungen im 2. Weltkrieg, die Vertreibungen und später die ärmlichen Verhältnisse in der DDR ließen wenig Raum für Vermögensbildung. Hinzu kommt ein Phänomen der neueren Zeit: Die Menschen vertrauen in der Regel dem Sozialstaat und legen deswegen relativ wenig für Arbeitslosigkeit, Krankheit und das Alter beiseite. Die Ansprüche an die Staatskassen gelten in der Statistik jedoch nicht als Vermögen.

Ob der Ertrag aus Einlagen für die private Altersvorsorge ausreicht, bleibt fraglich. Dennoch scheinen die deutschen Privatanleger bei ihrer Vermögensstruktur an ihrer risikoaversen Anlagestrategie festzuhalten. Kulturen wie die Amerikanische, aber auch Großbritannien, Schweden und Dänemark empfinden Risiko eher als Herausforderung denn als bedrohlich. In Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien und Deutschland sieht die Situation anders aus: Risiko bedeutet Bedrohung.

Basis für die Risikokompetenz als Anleger ist die allgemeine Risikowahrnehmung der Deutschen. Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach (im folgenden IfD), ist die deutsche Bevölkerung sehr sicherheitsorientiert und risikoavers. In der Studie zeigen die Autoren auf, dass die Bevölkerung Risiken grundsätzlich mit Gefahren assoziiert, denn die spontane Reaktion auf den Begriff Risiko zeigt, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung negativ auf den Begriff Risiko reagiert.

Der Begriff Sicherheit erzielt dahingegen einen Sympathiewert von 93 Prozent. Auch ein sicherer Arbeitsplatz oder die finanzielle Absicherung erhalten hohe Zustimmungsraten. Zudem bauen die Deutschen für das Alter stark auf die Absicherung durch den Sozialstaat.

Interessant ist, dass die Risikoaversion über die letzten zwei Jahrzehnte nochmals stark gewachsen ist. Dies mag laut dem IfD Allensbach daran liegen, dass die deutsche Bevölkerung in den letzten 20 Jahren erhebliche Risiken wahrgenommen hat. Diese Ergebnisse werden von der Forschung von Malmendier und Nagel bestätigt. Sie stellen fest, dass das Erleben eines makroökonomischen Schocks die Risikowahrnehmung und die Bereitschaft eines Individuums in bestimmte Vermögensklasse zu investieren, stark beeinflusst. Krisen haben laut Roszkowski und Davey nur wenig Einfluss auf die Risikotoleranz, also die Frage, wie viel Verlust ein Individuum meint verkraften zu können. Demnach haben Krisen jedoch einen großen Einfluss auf die Risikowahrnehmung, da Individuen das Investieren als deutlich riskanter einschätzen.

In der eigenen Einschätzung hält sich die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung für risikoavers. Im Ergebnis ordnen sich fast 80 Prozent der deutschen Bevölkerung als eher risikoavers ein und rund 28 Prozent der Bevölkerung wählt sogar die höchst mögliche Risikoaversion.

Die mit großem Abstand beliebtesten Anlageformen des deutschen Privatanleger sind das Sparkonto, Lebens- und Rentenversicherungen und die Immobilie. Hier wiederum steht an erster Stelle das Sparkonto. Auch das aktuelle Niedrigzinsumfeld scheint an dieser Aufteilung nichts zu ändern, denn Privatanleger legen ihr Geld weiterhin vorwiegend auf dem Sparkonto an und für 69 Prozent der deutschen Haushalte ist in der heutigen Zeit Sicherheit wichtiger als Rendite.

Dass diese Anlageform aber ebenfalls ein Risiko darstellt, ist nur den wenigsten Privatanlegern bewusst. Nur 11 Prozent der deutschen Bevölkerung nimmt laut IfD das momentane Niedrigzinsumfeld als ein potentielles Risiko wahr. Dies liegt daran, dass es sich um kein Schockrisiko, sondern um ein sogenanntes „schleichendes“ Risiko handelt und es von der Bevölkerung systematisch unterschätzt wird.

Mit einer Verbesserung der Risikokompetenz der deutschen Privatanleger sollte eine Verbesserung der Rentabilität der Vermögensanlage möglich sein. Neben dem systematischen Unwissen in weiten Teilen der Bevölkerung stellt insbesondere die asymmetrische Wahrnehmung von Risiken verbunden mit historischen Erfahrungen der Hauptgrund für ein zu einseitig auf vermeintliche Sicherheit und Liquidität ausgerichtetes Vermögen dar. In einem ersten Schritt sollte hierfür die rationalen Bewertungsfähigkeiten gestärkt werden. Vor allem die statistische Risikokompetenz muss dringend erhöht werden, indem klare mathematische Gesetzmäßigkeiten allgemein verständlich aufgezeigt werden.

Dann sollte verdeutlicht werden, dass in der heutigen Welt oft unter Unsicherheit entschieden werden muss und dass es auch in der Vermögensanlage bewährte Techniken gibt, um damit über eine ausreichend breite Diversifizierung den notwendigen Sicherheitspuffer zu gewährleisten. Schlussendlich muss der deutsche Privatanleger zu der Einsicht gelangen, dass ohne ausreichende Rentabilität die Altersvorsorge nicht gewährleistet werden kann und der Sozialstaat angesichts der demografischen Entwicklung diese Lücke nicht kompensieren können wird. Dieses Risiko wird nach wie vor weitestgehend ausgeblendet. Damit wird klar, dass Risikoempfinden auch immer etwas mit Risikowahrnehmung zu tun hat. Das größte Risiko ist nicht immer das, was am lautesten und grellsten in Erscheinung tritt.

Uwe Burkert, LBBW
– 5. April 2019