Zurück
Strukturen – Interview
„Wir brauchen die starke Gemeinschaft“
Mit ihren neuen Strukturen und Entscheidungswegen verringere die Sparkassen-
Finanzgruppe Redundanzen in der Entscheidungsfindung, sagt Helmut Schleweis, Bundesobmann der Sparkassenvorstände, im Interview. Gleiches mahnt er bei den Verbundbeteiligungen der Sparkassen an.

DSZ: Herr Schleweis, die Sparkassen-Finanzgruppe modernisiert ihre Strukturen und Entscheidungswege. Dafür haben Sie dem Vernehmen nach lange gekämpft. Warum?
Helmut Schleweis: Die Entscheidungswege in unserer Gruppe sind über die Jahre immer länger und verschlungener geworden. Wir kommen dadurch nicht immer so schnell zu Entscheidungen, wie das – gerade in Zeiten der Digitalisierung und des wachsenden wirtschaftlichen Drucks – notwendig ist.

DSZ: Können Sie das an einem Beispiel deutlich machen?
Schleweis: Ein naheliegendes Beispiel ist die Diskussion um die neuen Strukturen und Entscheidungswege selbst: Wir haben uns dem Thema vorsichtig genähert, erste Papiere geschrieben, darüber abgestimmt, Konzepte entworfen, wieder abgestimmt, mehrere Runden durch unsere diversen Gremien gedreht. Und schon für einen Lauf durch alle unsere Gremien muss man leider fast ein Jahr veranschlagen.

DSZ: Wer sind am Ende des langen Ringens um neue Strukturen und Entscheidungswege die Gewinner, wer verliert?
Schleweis: Die Sparkassen-Finanzgruppe ist eindeutig der Gewinner – auch wenn wir letztlich einen Kompromiss beschlossen haben. Manche hätten sich ja ein kleineres Gremium als den DSGV-Gesamtvorstand mit allen Landes­obleuten, allen Regionalverbandspräsidenten, den Kommunalvertretern und anderen gewünscht, das noch schneller entscheidet. Trotzdem schaffen wir eine gute Infrastruktur für Entscheidungen. Nun müssen wir die auch gut nutzen.

Hat sich schon früh für kürzere Entscheidungswege in der Sparkassen-Finanzgruppe eingesetzt: Helmut Schleweis, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Heidelberg und seit sieben Jahren Bundesobmann der Sparkassenvorstände. Schleweis hatte 1973 seine Laufbahn bei der Sparkasse Heidelberg begonnen und stand von 2002bis Ende 2017 an der Spitze des Instituts.Seit 2018 ist er DSGV-Präsident.

DSZ: Wie profitieren die Sparkassen von der neuen Infrastruktur?
Schleweis: Wir werden in der Sparkassen-Finanzgruppe Sachfragen schneller entscheiden und stringenter und verlässlicher abarbeiten. Das ist zwar für eine einzelne Sparkasse kein sofort greifbares Ergebnis. Aber auf die komplexen Fragen, vor denen wir stehen, gibt es keine einfachen, schnellen Antworten. Wir Sparkassen brauchen nicht den starken Mann oder die starke Frau, sondern die starke Gemeinschaft. Und gute und schnelle Wege, in unserer Gemeinschaft Entscheidungen zu fällen.

DSZ: Wie lange wird es dauern, bis Sparkassen Erleichterungen durch die neuen Strukturen und Entscheidungswege spüren?
Schleweis: Ihre eigentliche Kraft werden unsere aktuellen Beschlüsse erst entfalten, wenn wir in den neuen Strukturen effektiv zusammen arbeiten. Wir schaffen jetzt die Voraussetzungen dafür, in unserer vielfältigen Organisation schneller gemeinsame Lösungen zu finden. Auf dieser Basis können wir zu guten gemeinsamen Lösungen kommen.

DSZ: Sind die neuen Strukturen und Entscheidungswege damit ein Schritt zu mehr Standardisierung und Zentralisierung?
Schleweis: Die Sparkassenorganisation bekennt sich ja immer wieder ganz klar zum Subsidiaritätsprinzip: Aufgaben werden da erledigt, wo sie am besten erledigt werden können. Je näher ein Thema am Kunden ist, desto eher wird es in der Sparkasse vor Ort entschieden. Je sinnvoller eine standardisierte Lösungen ist, desto vernünftiger ist es, sie zentral zu erarbeiten.

DSZ: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sparkassen Souveränität in Richtung DSGV und nach Berlin abgeben müssen?
Schleweis: Man darf Standardisierung und Zentralisierung nicht mit Machtverschie-bung verwechseln. Sparkassen bleiben autonom in ihren Entscheidungen. Aber nichtsdestotrotz können – und sollten – wir doch unsere Kapazitäten bündeln und bestimmte Aufgaben zentral erledigen. Das organisieren wir demokratisch, denn wir wollen ja eben nicht, dass nur einer alleine die Richtung bestimmt.

DSZ: Vielfach war zu hören, der DSGV solle gestärkt werden…
Schleweis: Auch da muss man auf die Begriffe achten: Der DSGV sind wir alle! Die Geschäftsstelle des DSGV in Berlin unterstützt uns. Für die Regionalverbände gilt das gleiche. Wenn jetzt teilweise Machtfragen diskutiert werden, dann geht es letzt-lich um Verschiebungen zwischen den Geschäftsstellen.

DSZ: Oder – wie bei den standardisierten Abläufen von OS-Plus-Neo – in Richtung des zentralen IT-Dienstleisters?
Schleweis: Sicherlich kann man die Umstellung auf Standardprozesse als Verlust an Souveränität interpretieren. Aber letztlich ist es eine souveräne Entscheidung jeder Sparkasse – für oder gegen den Standard. Man kann fragen, ob die Entscheidung gegen die gemeinsame Lösung ökonomisch vernünftig ist. Aber sie bleibt möglich.

DSZ: Widerspricht der Trend zur Standardisierung dem Wunsch nach Innovationen, die ja häufig gerade aus kleinen, individuellen Lösungen erwachsen?
Schleweis: Nein, denn es bleibt ja durchaus wünschenswert, dass einzelne Institute Neues ausprobieren. Am Markt erfolgreich werden wir aber nur mit den Innovatio-nen sein, die wir – nachdem sie sich in einzelnen Instituten bewährt haben – für alle Kunden aller Sparkassen anbieten.

DSZ: Sind die neuen Strukturen und Entscheidungswege so agil, dass Projekte wie das App-Konto Yomo schnell beschlossen und gestartet werden können?
Schleweis: Die Gremien unserer Gruppe, die wir jetzt neu aufgestellt haben, befassen sich mit Themen, sobald sie für die gesamte Sparkassen-Finanzgruppe relevant werden, eine strategische Implikation bekommen. Yomo ist ein Projekt einiger Sparkassen, die auf eigenes Risiko damit gestartet sind. In den Gremien hingegen wirtschaften wir mit fremdem Geld – dem Geld der Sparkassen. Das darf und kann man nur ausgeben, wenn die Mehrheit sagt, dass das so richtig ist.

DSZ: Warum brauchen Dienstleister wie die Finanz Informatik oder die DSV-Gruppe zusätzlich zu den DSGV-Gremien eigene Gremien mit eigenen Hoheiten?
Schleweis: Wegen der Unterschiede zwischen der strategischen und der operativen Ebene. Wer in DSGV-Gremien strategische Entscheidungen trifft, kann schwerlich genau wissen, welche Ressourcen derjenige gerade zur Verfügung hat, der die Entscheidung umsetzen muss. Vielleicht gibt es Abhängigkeiten, vielleicht lassen sich Teile sinnvoll im Paket mit anderen Teilen anderer Projekte erledigen. Das kann nur ein Gremium auf operativer Ebene steuern.

DSZ: Sie sehen nicht die Gefahr, dass sich Gremien – etwa der DSGV-Gesamtvorstand und der Anwendungsplanungsausschuss APA der Finanz Informatik –gegenseitig im Weg stehen?
Schleweis: Nein. Denn ich kenne als Vorsitzender des APA keinen Fall, in dem wir eine strategisch gewollte Entscheidung etwa aus Kostengründen nicht umgesetzt hätten. Das Hauptproblem war immer, dass uns strategische Aufträge gefehlt haben, die eindeutig genug formuliert waren. Es reicht eben nicht, im allgemeinen Konsens zu sagen: Wir wollen ein Schiff! Für einen echten Auftrag muss man sich schon festlegen: ein Kreuzfahrtschiff? Einen Tanker? Ein Containerschiff? Da bringen wir jetzt mehr Klarheit hinein.

DSZ: Trotz der eigenen Hoheiten der Verbunddienstleister sollen die DSGV-Gremien Verantwortung für Projekte „vom Anfang bis zum Ende“ übernehmen.
Schleweis: Das schließt ja nicht aus, dass zum Beispiel Verbunddienstleister einzelne Schritte übernehmen. Was wir allerdings brauchen, ist ein echtes Projektcontrol-ling, ein Erfolgscontrolling vom Anfang bis zum Ende. Wir haben bislang oft nicht konsequent genug geschaut, wie gut die Projektergebnisse, die wir erarbeitet haben, in der Praxis in den Sparkassen auch umgesetzt wurden.

DSZ: Welche Rolle spielt die DSGV-Geschäftsstelle in den neuen Strukturen und Entscheidungswegen?
Schleweis: Noch bearbeiten wir viele Themen an mehreren Stellen in der Sparkassen-Finanzgruppe gleichzeitig. Das soll nicht mehr sein. Die Koordination, Themen nur noch einmal zu erarbeiten, wird eine ganz wichtige, neue Aufgabe für die DSGV-Geschäftsstelle.

DSZ: Also doch eine Konzentration in Berlin?
Schleweis: Das denke ich nicht. Nach wie vor werden Aufgaben in Regionalverbänden oder bei Verbunddienstleistern bearbeitet werden. Aber jemand muss zentral die Verantwortung tragen: die DSGV-Geschäftsstelle – wenn auch nicht von heute auf morgen, denn noch hat sie dafür die Ressourcen nicht.

DSZ: Viele Fachleute in der DSGV-Geschäftsstelle arbeiten derzeit in Projekten.
Schleweis: Das Problem an Projekten ist: Wenn sie erfolgreich sind, werden sie abgeschlossen. Die Projektmitarbeiter gehen ihrer Wege, das Wissen geht verloren. Darum wollen wir mehr Themen in der Linie bearbeiten, in einem gestärkten Fachverband. Also kein Projekteverband, sondern – neben der Lobbyarbeit – viel dauerhafte fachliche Expertise.

DSZ: Die DSGV-Geschäftsstelle gewinnt damit an Einfluss, oder?
Schleweis: Wir werden mit Sicherheit manche Aufgaben neu sortieren und Kapazitäten neu anordnen müssen. Solche Veränderungen sind aber keine Frage von Macht, sondern von ökonomischer Vernunft. Und wir werden sie auch nicht übers Knie brechen können, denn wir wollen und müssen ja auf dem Bestehenden aufbauen.

DSZ: Es scheint noch ein langer Weg bis zu einer effektiven, vom DSGV koordinierten verbundübergreifenden Zusammenarbeit.
Schleweis: Es ist gewissermaßen ein Henne-Ei-Problem. Die einen sagen, der DSGV ist dafür noch nicht richtig aufgestellt, deswegen müssen wir weiter dezentral arbeiten. Wenn wir aber andererseits die DSGV-Geschäftsstelle nicht ertüchtigen, werden wir die ökonomisch sinnvolle Koordination nur schwer hinbekommen. Der erste, wichtige Schritt in Richtung ökonomischer Vernunft ist mit den aktuellen Satzungsbeschlüssen gemacht. Jetzt müssen wir die Strukturen, die darin festgeschrieben sind, auch mit Leben erfüllen.

DSZ: Langfristig sollen die neuen Strukturen und Entscheidungswege auch die Kosten senken?
Schleweis: Ich glaube, das werden sie. Die Erwartungshaltung der Sparkassen ist groß – in Teilen vielleicht, was die Geschwindigkeit angeht, zu groß. Denn auf komplexe Herausforderungen gibt es keine einfachen, schnellen Antworten. Mit den neuen Strukturen und Entscheidungswegen haben wir das Fundament gelegt, jetzt muss jeder seinen Job machen. Die Diskussionen im Endspurt machen mich allerdings zuversichtlich: Wir haben ein gutes Fundament für künftige Erfolge gelegt.

DSZ: Was kommt jetzt, da das Fundament gesetzt ist?
Schleweis: Wir haben letztendlich in einem vertretbaren Kompromiss diverse Re-dundanzen in unseren Strukturen und Entscheidungswegen abgebaut. In der Zukunft werden wir uns auch mit Redundanzen in unseren Verbundbeteiligungen – Landesbanken, Bausparkassen, Versicherungen – noch stärker beschäftigen müssen. Ich glaube nicht, dass die heutigen Strukturen für uns Sparkassen zukunftsfähig sind.

DSZ: Was schlagen Sie vor?
Schleweis: Ich werde mich nicht zu konkreten Vorschlägen hinreißen lassen, denn ich kann ja nicht über anderer Leute Geld und Gut bestimmen. Aber ich will die Debatte darüber anstoßen, dass es aus meiner Sicht so, wie es jetzt ist, für die Gesamtorganisation nicht dienlich ist. Wir brauchen das Thema auf der Tagesordnung, denn wir Sparkassen müssen uns auch über diese Strukturen Gedanken machen.

7. Dezember 2016