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Bewerberverfahren
Ehrenamt statt Schulnoten
Mit der Digitalisierung fehlt immer mehr Berufseinsteigern das notwendige Gespür im Umgang mit Kunden. Die Sparkasse Celle hat daher ihre Personalbeschaffung neu ausgerichtet.

Die Sparkasse Celle lädt Bewerber – ohne Eignungsprüfung – direkt zu Vorstellungstests ein. Einzige Voraussetzung: Die angehenden Azubis müssen sich ehrenamtlich engagiert haben. Schulnoten gelten für Arbeitgeber in der deutschen Wirtschaft immer noch als wesentliches Auswahlkriterium, um bei einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Doch mit diesem traditionellen Denken macht die Sparkasse jetzt Schluss und schlägt neue Wege ein.

Trainiert ein Kandidat junge Kicker im Fußballverein, engagiert er sich in der freiwilligen Feuerwehr oder in einer Kindergruppe, bekommt er ab sofort ein Art VIP-Ticket, wenn er sich bei der Sparkasse um einen Ausbildungsplatz bemüht: „In unserem Berufsalltag steht der Kunde, also der Mensch im Mittelpunkt. Ob ein Bewerber die sogenannten Soft Skills mitbringt, können wir nur bedingt an seinen Schulnoten ablesen“, so begründet Patrick Kuchelmeister, Vorstandsmitglied bei der Sparkasse Celle, den Sinneswandel.

Die referenzierte Medienquelle fehlt und muss neu eingebettet werden.
Junge Auszubildende im Gespräch. Bei der Sparkasse Celle setzt man künftig bei der Auswahl stärker auf Engagement als auf Schulnoten.

Denn gerade in Zeiten computerbasierter und stark kognitiv ausgerichteter Bewerbungsverfahren in der deutschen Wirtschaft bis zur Stimmenanalyse mithilfe künstlicher Intelligenz kommt der Blick auf den Menschen zu kurz. „Wir haben uns entschlossen, unsere Personaldiagnostik zu modifizieren und die sozialen Kompetenzen gleich zu Beginn des Eignungsverfahrens ganz bewusst in den Fokus zu rücken und diese sogar zu belohnen“, so Kuchelmeister. Dazu hat die Sparkasse eine öffentlichkeitswirksame Kampagne ins Leben gerufen. Sie läuft unter den Hashtags #Ehrenmann, #Ehrenfrau, #Ehrenmenschen.

Hintergrund für den Kurswechsel des Vorstands ist die zunehmende Digitalisierung, die das Bankgeschäft in den vergangenen Jahren radikal verändert hat. „Gerade in Beziehungen zu anderen Menschen, in Kundenbeziehungen, brauchen Bankkaufleute Empathie, um die Bedeutung des Inhalts im Kontext für ihre Kunden einzuschätzen und zu bewerten. Die Fähigkeit zu Empathie kann durch die Digitalisierung verkümmern“, so der Sparkassenvorstand.

Ob Mimik, Gestik oder Sprachmelodie – Empathie sei wichtig, um Menschen oder Kunden zu erleben, so der Vorstand. Doch mit den neuen technischen Mitteln wie Smartphone, Tablets oder Computer verlieren viele Bewerber im Bankgeschäft das notwendige Gespür im Umgang mit ihren Mitmenschen. Dies sei aber eine wichtige Voraussetzung im Vertrieb, um sich im härter gewordenen Bankenumfeld zu behaupten.

„Durch die digitale Kommunikation sind die Gelegenheiten eher selten geworden. Menschen kommunizieren weniger von Angesicht zu Angesicht“, erklärt der Sparkassenvorstand. Er sieht deshalb Bewerber, die sich ehrenamtlich engagiert haben, als idealere Kandidaten für den Sparkassen-Nachwuchs. „In der Regel setzen sich ehrenamtlich tätige Menschen ein, weil sie gerne mit anderen Menschen zusammen sind, und haben deshalb eine größere Chance ihre Empathie zu trainieren, die im Alltag der Bankkaufleute unabdingbar ist“, sagt Kuchelmeister.

Denn für die Sparkasse reicht die Abfrage rein kognitiver Fähigkeiten in den heutigen Bewerberverfahren von Unternehmen nicht aus, um die Qualifikation eines Kandidaten festzustellen. „Das Berufsbild hat sich verändert, unsere Führungskräfte müssen gute kognitive Fähigkeiten mitbringen, um die Prüfungshürden zu nehmen und unseren Kunden komplexere Sachverhalte erklären zu können, aber an erster Stelle steht die soziale Komponente“, so Kuchelmeister.

Überspitzt gesagt heißt das für den Sparkassenvorstand: „Wenn ich die Wahl zwischen zwei Bewerbern habe, der eine mit einem Einser-Durchschnitt und keinerlei außerschulischen Interessen und der zweite ein Dreier-Durchschnitt, dafür aber sehr in der Freizeit engagiert, würde ich den zweiten bevorzugen.“ Das könnte bedeuten, dass die Ausbilder den Kandidaten enger in der Ausbildung begleiten müssen. „Ich glaube, dass am Ende der zweite Bewerber für unser Team und unsere Kunden aufgrund seiner Persönlichkeit ein großer Mehrwert ist“, sagt Kuchelmeister.

Dass die Sparkasse Celle Bewerber künftig mit ehrenamtlichem Engagement bevorzugt, hat aber noch einen weiteren Grund: Denn viele Mitarbeiter der Sparkasse sind über 400 unterschiedliche ehrenamtliche Jobs mit der Region Celle verankert. „Kaum ein Verein kommt ohne einen Kassenwart aus, der das rote S auf der Stirn trägt. Davon profitieren die Region, die Menschen, die hier leben, und die Sparkasse, weil wir auf diese Weise in der gesamten Region vernetzt sind. Nicht zuletzt erfüllen unsere Mitarbeiter damit auch den öffentlichen Auftrag der Sparkassen“, sagt Kuchelmeister.

Denn das Ehrenamt sei in der natürlichen DNA der Sparkasse verankert: „Mit unseren Kunden vereinigen wir so viele Menschen unter einem Dach, wie es kein anderes Unternehmen, kein Verein, keine private, politische oder religiöse Institution schafft“, so der Vorstand.

Noch hat die Sparkasse keine Bewerbungsverfahren nach dem neuen Modell durchgeführt. Doch einer der Mitarbeiter, der es dank seines ehrenamtlichen Engagements bei der Sparkasse weit gebracht hat, ist Jonas Sieme. Er begann 2011 seine Ausbildung bei der Sparkasse und ist Jugendtrainer beim VfL Westercelle.

„Ich kann mich sehr gut an mein Vorstellungsgespräch erinnern. Ein Schwerpunkt war auch damals meine Tätigkeit als Trainer. Es hat mir immer schon sehr viel Spaß gemacht, mit den Kindern zu arbeiten, sie zu entwickeln und mich im Verein einzusetzen“, sagt der Trainer. „Vieles, was ich im Vereinsleben gelernt habe, kann ich sehr gut in meinem Berufsleben einsetzen.“

Sarah Jacobi, Kreisjugendfeuerwehrwartin beim Landkreis Celle, wertet das neue Bewerberverfahren als gelungen: „Für uns ehrenamtlich Tätige ist es von größter Bedeutung, dass unsere Arbeitgeber unseren Einsatz unterstützen und hinter uns stehen. Ich weiß, dass die Sparkasse Celle dies tut und die ortsansässigen Feuerwehren auch in anderer Hinsicht unterstützt. Jetzt gibt es sogar einen Bonus für den Berufsstart von Ehrenamtlichen, das ist eine große Wertschätzung und Anerkennung unserer Arbeit.“

Alexander Hoffmann, Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestags, sieht das neue Bewerberverfahren der Sparkasse als ein gutes Vorbild, das in der deutschen Wirtschaft Schule machen sollte: „Wer sich ehrenamtlich engagiert, dem soll das an der passenden Stelle auch gedankt werden. Daher hoffe ich, dass möglichst viele Unternehmen und Betriebe die Kampagne der Sparkasse Celle aufgreifen und denjenigen Frauen und Männern, die zum Wohle der Allgemeinheit tätig sind, besondere Wertschätzung zukommen lassen“, sagt der Bundestagsabgeordnete.

Gregory Lipinski
– 29. April 2019