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Bankenjahr 2019
Von Hoffnung getragen, von der Realität eingeholt
Die Herausforderungen für die Bankenbranche sind in diesem Jahr nicht weniger geworden. Neo-, Near- und Non-Banks verschärfen den Wettbewerb zusätzlich.

Die globalen Rahmenbedingungen hatten 2019 einige negative Überraschungen zu bieten: Das scheinbar nicht enden wollende Brexit-Dilemma sowie die Handels- und Zollstreitigkeiten zwischen den USA und China verunsicherten die Marktteilnehmer. In der Folge sank die weltweite Investitionstätigkeit. Da insbesondere die deutsche Volkswirtschaft stark kapitalgüterkonzentriert ist, mussten die Prognosen für das Gesamtjahr fast aller Wirtschaftszweige sukzessive angepasst werden. Hinzu kamen auf der politischen Bühne die andauernden Proteste der Demokratiebewegung in Honkong und zuletzt in Südamerika. Indes blieb der befürchtete Totalabsturz der globalen und insbesondere der deutschen Wirtschaft aus. Es besteht am aktuellen Rand die Hoffnung auf ein, wenn auch geringeres, aber doch positives Wachstum des deutschen BIP im Jahr 2019.

Belastungsprobe im Spannungsfeld des Marktes

Aus Sicht der Bankenbranche neigt sich ein weiteres enttäuschendes Jahr dem Ende zu. Hier gab es eine besonders herbe Enttäuschung: Die von vielen erhoffte Zinswende blieb aus. Der in diesem Jahr scheidende EZB-Chef Mario Draghi („Whatever it takes“) verschob diese für lange Zeit in die Zukunft („Lower for longer“). Die Branche hat sich indes von der Hoffnung verabschiedet, dass sich daran unter der neuen Führung von Christine Lagarde auf absehbare Zeit etwas ändert. Gerade in Europa befinden sich die Institute aufgrund des Negativzinsumfeldes im betriebswirtschaftlichen Ausnahmezustand.

dpa
Neue EZB-Chefin, alter Kurs: Mario Draghi mit seiner Nachfolgerin Christine Lagarde.

Die prekäre Lage der global agierenden deutschen Institute verdeutlicht besonders der Vergleich mit den europäischen oder amerikanischen Wettbewerbern. Während die letzten Quartalszahlen, insbesondere der US-Wettbewerber (J.P. Morgan, Morgan Stanley, Bank of America) und in Europa (Credit Suisse) überwiegend positiv überraschten, sind die vergleichbaren deutschen Wettbewerber weiterhin noch voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Sie stecken im Spannungsfeld von notwendigen Kostensenkungen, erodierenden Erträgen, dem herausfordernden Umfeld der Regulatorik, kostenintensiven Digitalisierungsprojekten und geänderten Kundenanforderungen.

Die zunehmende öffentliche Wahrnehmung der Klimadebatte hatte zusätzlich eine steigende Aufmerksamkeit für nachhaltige Anlagekonzepte und Geschäftsmodelle zur Folge. Kreditinstitute sollten somit in der Zukunft die Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen, da dies auch vom Regulator (zum Beispiel EBA) verstärkt in den Fokus genommen wird. Dass dies, wenn auch von einer niedrigen Basis aus, wirtschaftlich erfolgreich sein kann, zeigt die Entwicklung der GLS -, Umwelt- und Ethikbank sowie ihre Ergebnisse. 

Wettbewerbsintensität unverändert hoch

In diesem Marktumfeld kam der Wettbewerbsdruck, neben den ausländischen Instituten wie BNP Paribas und ING Deutschland, die zuletzt durchaus erfolgreich agiert haben, zunehmend durch Neo-, Near- und Non- Banks. Sie sind zunehmend erfolgreicher im attackieren von Teilbereichen die Wertschöpfungsketten der tradierten Institute. So bietet etwa die Vergleichsplattform Check24 Beratung zu Konsumentenkrediten an. Der Robo-Advisor Scalable Capital konnte in Kooperation mit ING Deutschland bislang rund 1,5 Milliarden Euro an Kundengeldern einwerben. Die Angebote von Start-Ups wie N26/ Revolut bei Privatkunden und Holvi/ Penta bei Geschäftskunden zeigen einen Trend auf, der nicht unterschätzt werden sollte.

Nicht zuletzt die aktuellen Bemühungen der Big Techs wie Facebook (mit Libra oder dem neuen Zahlungsverkehrsdienst Facebook Pay), Google mit dem eigenen Girokonto (mit Citibank), Uber (Uber Wallet) sowie Wirecard, Klarna oder Paypal die Kundenschnittstelle zu besetzen und auf Grundlage der erlangten Zahlungsverkehrsdaten neue Geschäftsmodelle zu etablieren, weisen eine neue Qualität auf. Die Zeit drängt, wollen tradiert Marktteilnehmer nicht marginalisiert werden. Im Zahlungsverkehr sind Big Tech und Private Equity schon massiv auf dem Vormarsch. Im Aktien- und Devisenhandel haben die tradierten Institute deutlich an Boden verloren, weil technologisch überlegene Anbieter wie Citadel, Susquehanna, XTX Markets oder 360T Marktanteile erobern.

Keine Kraft zu mehr

Wie reagierte die deutsche Kreditwirtschaft auf diese Herausforderung? Die beiden größten deutschen Privatbanken, Deutsche Bank sowie Commerzbank, bekamen die volle Wucht der ausbleibenden Zinswende zu spüren. Sie hinterließ gerade beim zinssensitiven Geschäftsmodell der Commerzbank tiefe Spuren in der Bilanz. Auf Jahressicht wurde die bereits gesenkte Ergebnisprognose abermals in Frage gestellt. Die Deutsche Bank wird das fünfte (!) Verlustjahr in Folge ausweisen müssen. Nach Absage an eine Fusion im Frühjahr blieb somit für beide Institute nur eine logische Konsequenz. Sie justierten abermals ihre strategische Ausrichtung. Der Sparkurs wurde weiter verschärft, die Investitionen im Rahmen der Digitalisierung intensiviert und das Geschäftsmodell, mit neuem Hauptfokus auf den wettbewerbsintensiven Heimatmarkt, adjustiert.

Nicht fusioniert, aber vor ähnlichen Herausforderungen: Deutsche Bank und Commerzbank.

Konkret belässt es aber beispielswseise die Commerzbank bei der weiteren Subventionierung eines kostenlosen Ankerproduktes (Girokonto). Bei der Deutschen Bank lassen weitere Ermittlungen hinsichtlich der Geldwäscheproblematik, insbesondere im Investmentbanking, sowie weitere Personalrochaden im Vorstand viele Fragen offen - und Mitarbeiter, Stake- und Shareholder verunsichert zurück. Die Chance auf eine echte, stringente strategische Neuausrichtung des Geschäftsmodells blieb damit ein weiteres Mal ungenutzt. Es bleibt fraglich, ob nach den Bemühungen der letzten Jahre die 2019 beschlossenen Maßnahmen ausreichen, um eine nachhaltige Ertrags- und Ergebniswende herbeizuführen.

Den Umbruch zu ignorieren, ist keine Option

Die beiden verbleidenden Säulen der deutschen Kreditwirtschaft erwirtschafteten vor dem Hintergrund des Marktumfeldes hingegen solide Ergebnisse. Genossenschaftsbanken arbeiten an einer eigenen Online-Finanzplattform, die sie sukzessive in den nächsten Jahren ausbauen und gegebenenfalls auch um Angebote fern des reinen Banking erweitern wollen. Der Start der Digitalisierungsoffensive um eine neue omnikanale Vertriebsplattform für das Privat- und Firmenkundengeschäft war erfolgreich. Konkrete Überlegungen, den Plattformgedanken über reine Bankdienstleistungen hinaus weiterzuentwickeln, materialisierten sich - analog zu den Sparkassen - in der Kooperation mit dem digitalen Identitätsdienst Yes, der Registrierungen, Anmeldungen und die Legitimation im Internet vereinfacht, zum Beispiel bei E-Commerce-Händlern.

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Ragen aus dem Frankfurter Wolkenmeer: Turmspitzen von Dekabank, DZ Bank und Messeturm.

In der Sparkassen-Finanzgruppe selbst wurden, neben dem weiter voranschreitenden Konsolidierungsprozess auf aktuell 379 Sparkassen und dem Auftrag zur Prüfung einer Fusion von Helaba und Deka, konkret auf operativer Ebene viele Projekte erfolgreich umgesetzt. Exemplarisch seien hier die erfolgreiche Durchführung der Öffnung der PSD2-Schnittstelle sowie der Start für Instant Payment für Firmenkunden genannt. Das Ankerprodukt Girokonto als Mittel zur Kundenbindung wird im Rahmen des Aufbaus einer digitalen Finanzplattform und eines Ökosystems, zum Beispiel mittels Multibanking, E-Postfach sowie E-Safe, zum neuen finanziellen Zuhause ausgebaut. Dass dies richtig und wichtig ist, belegt die starke Steigerung der Nutzer der Sparkassenapp auf aktuell 7,5 Millionen. Die Sparkassen bleiben so digital an der Seite der Kunden.

Strategische Marschroute

Diese Beispiele sind Lösungen für Einzelprobleme. Wichtig bleibt, die Digitalisierung einer strategischen Marschroute folgen zu lassen. Die Sparkassenorganisation wird eine eigene Antwort auf die aktuellen Herausforderungen finden. Konkurrenten wie Fintechs können dabei aber auch Partner sein. Über Bereitstellen von Mehrwerten, Transparenz und Sicherheit können im Rahmen von Cross- und Up-Selling die Kundenreichweite erhalten und ausgebaut, die Kundenbindung erhöht sowie die Erträge stabilisiert werden.

Hoffnung ist keine Strategie. Abwarten ist keine Option. Proaktives Handeln bleibt das Gebot der Stunde.

Ingmar Lehmann, DSGV
– 10. Dezember 2019