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Plattformökonomie
Spiel um die Daten
Online-Anbieter, die ihre Nutzer gezielt mit einer Vielzahl von Services umgarnen, wirbeln diverse Branchen um. Gerade auch die Finanzwirtschaft sieht sich zum Handeln gezwungen.

Die kalifornische Punk-Band Blink-182 hatte gerade ihren Song „Generational Divide“ auf der Musikstreaming-Plattform Spotify veröffentlicht, als die EU Unternehmen wie Spotify neue Spielregeln ins Pflichtenheft schrieb: Die sogenannte P2B-Verordnung („Platform-to-Business-Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten“) soll ab Juli 2020 sicherstellen, dass willkürlich gelöschte Händler-Accounts, geblockte Angebote oder heimlich veränderte Ranking-Parameter der Vergangenheit angehören.

Rockband Blink-182: Die EU will auch bei Musik-Streamingplattformen für fairen Wettberwerb sorgen. Inwiefern davon kleinere Spieler profitieren, ist noch unklar.

Bitkom begrüßt EU-Ansatz für mehr Transparenz

Der Branchenverband Bitkom beantwortet die von Blink-182 in ihrem Song gestellte Frage „Are we better now?“ deshalb mit einem Ja: „Wir begrüßen den von der EU gewählten Ansatz, über zusätzliche Transparenz und Vereinheitlichungen für harmonisierte Bedingungen auf den Plattformmärkten zu sorgen“, sagt Geschäftsleiterin Susanne Dehmel. Tatsächlich möchte die EU mit der P2B-Verordnung den digitalen Binnenmarkt ebenso voranbringen, wie sie dies mit der PSD2-Richtlinie und der im Mai 2019 umgesetzten Verordnung über den freien Verkehr nicht personenbezogener Daten vorhat.

Sparkassen, Banken und Versicherer werden bei der wettbewerbsrechtlich ausgerichteten und explizit auf Plattformbetreiber gemünzten P2B-Verordnung eher zwischen den Zeilen fündig. Das dürfte insbesondere in Hinblick auf die gelegentlich mit harten Bandagen geführte Auseinandersetzung mit Vergleichsportalen zutreffen.

Konkurrenz um Daten für Touchpoints und Kundenreisen

Schließlich geht es bei Konflikten wie jüngst zwischen HUK-Coburg und Check24 nur vordergründig um Provisionen, dafür aber umso mehr darum, wer die Kunden im Web abholt und in die digitale Zukunft begleitet: Hinter den Kulissen konkurrieren die Unternehmen um den Zugriff auf die digitale „Customer Journey“ der Kunden und deren Touchpoints sowie die damit verbundenen Daten – Ressourcen, mit denen die plattformwirtschaftlichen Claims der Zukunft abgesteckt werden.

Wohin die Reise führen könnte, zeigt ein Blick in die digitalen Labore der Finanzdienstleister, die derzeit mehr zu tun haben, als ihnen lieb sein dürfte. Schließlich ist es nicht mehr damit getan, im Privatkundengeschäft die „Digital Natives“ abzuholen, ohne deren Großeltern zu vernachlässigen. Oder damit, den Firmenkunden, die sich entlang ihrer Wertschöpfungskette miteinander vernetzen, im Bankgeschäft einen ähnlich flüssigen Prozess zu bieten.

Beides ist Bestandteil des Kerngeschäfts, hilft in der Hackordnung der Internetökonomie aber nur wenig weiter, weil Google und Co. weiter Tempo machen und im Plattformuniversum fast nach Belieben neue Standards setzen.

Finanzdienstleister wollen ihre Portale öffnen

Die Konsequenz, die mancher Finanzdienstleister daraus zieht, gehört zu den vielen Volten und Überraschungen, die das Internet mit all seinen Vernetzungs- und Rückkopplungseffekten seit eh und je im Gepäck hat: Die Finanzdienstleister verfolgen den Gedanken, ihre Portale für Dritte zu öffnen, um in Gang zu bringen, was die Internet-Ökonomie wirklich treibt: Vernetzung und deren exponentielle Skaleneffekte.

Warum beides so wichtig ist, haben die Experten vom „Platform Observatory“, der Beobachtungsstelle der Europäischen Union auf den Punkt gebracht: „Es sind die datengetriebenen Vernetzungseffekte, die Online-Plattformen so einzigartig machen”, schreiben sie auf ihrer Webseite. „Sie bewirken, dass der Wert der Dienstleistung mit der Menge der Nutzer wächst, während Skaleneffekte und Reichweite die Kosteneffizienz erhöhen.“

Vernetzung treibt den Umsatz

Was diese Entwicklung in Zahlen bedeutet, hat das Bundeskartellamt in der Erläuterung eines im Juli 2019 abgeschlossenen Verfahrens gegen den Online-Konzern Amazon vorgerechnet: Von den mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz, die Amazon 2018 mit seiner Plattform amazon.de erwirtschaftet hat, stammen nur 40 bis 45 Prozent aus der eigenen Retail-Sparte.

Alles andere haben mehr als 300.000 Händler mit ihren Angeboten beigesteuert. Welche Auswirkungen die von den Händlern generierten Vernetzungseffekte auf den Gesamtumsatz hatten, konnten selbst die Experten des Kartellamts nicht beziffern.

Marktanteile ungleich verteilt

Der Blick Richtung Musikbranche ist ähnlich aufschlussreich. Den drei großen Labels Universal, Sony und Warner spült das plattformbasierte Streaming stündlich fast eine Million US-Dollar in die Kassen – und Spotify, eine Musikstreaming-Plattform, die jeden Monat 230 Millionen aktive Nutzer registriert, hat ihren drei Top-Interpreten allein im laufenden Jahr 18 Milliarden Streams beschert.

Gerade in der Musikbranche zeigt sich aber auch, dass die Marktanteile im Plattform-Geschäft sehr ungleich verteilt sind. So sind die Punker von Blink-182 für ihr Genre mit monatlich 10,5 Millionen Streams zwar ganz gut im Rennen, werden der überirdischen Benchmark von Post Malone, Billie Eilish und Ariana Grande aber wohl weiterhin um Lichtjahre hinterherhinken. Daran dürften auch Bemühungen der Wettbewerbshüter wie die P2B-Verordnung wenig ändern.

Lesetipp: Portale, Plattformen und Ökosysteme: FK-Banking Teil 2: zeb-Analyse des aktuellen Marktangebots

Frank Sträter
– 30. Dezember 2019